„The Home Move Front“
Das Original-Script wurde von Katharina Reiter am 18.Oktober 2021 übersetzt.
N.B: Da es sich um ein „gesprochenes“ Dokument handelt und das Original möglichst genau wieder gegeben werden sollte, ist der zum Teil etwas umgangssprachliche „Erzählstil“ bewusst beibehalten worden.
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1985 war BBC London, begleitet von einem Dolmetscher, in Beckum und hat Beckumer Bürger befragt wie sie die Zeit ab Beginn des Nationalsozialismus bis Ende des 2. Weltkrieges erlebt haben. Daraus ist der Film „The Home Move Front“ entstanden unter Verwendung von alten persönlichen Fotos und kleinen Filmaufnahmen.
Der Film wurde wie folgt auf BBC angekündigt:
Fr 29. Nov. 1985 auf „BBC Two England“ 21:30 The Home „Moovie-Front“
- Die Familienarchive von Amateurfilmern in Beckum, einer kleinen deutschen Stadt, zeigen eine Vorkriegswelt des Biertrinkens und der Schützenfeste, der Nazi-Uni-formen und des Verliebtseins, eines Karnevalswagens, der Juden im Gefängnis karikiert. Während des Krieges filmen sie Schweine in ihren Gärten, SS-Soldaten, die mit Jugendlichen aus dem Ort Kleider und Rollen tauschen, eine Hochzeit in Spitzen, die aus dem eroberten Frankreich geschickt wurden, und schließlich Verzweiflung und Niederlage an der russischen Front.
Die Geschichte Beckums unter den Nazis wird von seinen Bewohnern erzählt, die ihre eigenen zeitgenössischen Filme und Bilder verwenden.
VT Herausgeber: TERRY STAPLEY
Rechercheur: SALLYANN KLEIBEL, Ausführender Produzent: ELWYN PARRY JONES
Das folgende Script wurde per Telediphone-Aufnahme erstellt und nicht von einem Originalskript kopiert: Wegen der Möglichkeit von Hörfehlern kann das BBC nicht für die Richtigkeit der Angaben bürgen. (Anmerkung BBC)
Aufgenommen Freitag, 29. November 1985
Schilderungen von der Heimatfront
Beckum
Beginnt mit Publikumslärm und "Sieg Heil"-Rufen, Gesprächen und Musik
ERICH BOMKE: „Beckum heute. Das ist unser Rathaus auf dem Marktplatz, dem Herzen unserer Stadt. Das ist die Nordstraße, unsere wichtigste Einkaufsstraße. Beckum ist eine wohlhabende Kleinstadt in Nord Deutschland. Ihr Wohlstand basiert auf der Zementindustrie. Die Bevölkerung hat sich seit dem Krieg fast verdoppelt und ist überwiegend katholisch.
„Mein Name ist Erich Bomke. Ich bin hier geboren. Als Hitler an die Macht kam, war ich zehn Jahre alt. Ich erinnere mich an die späten dreißiger Jahre sehr gut, weil wir in Beckum einen Familienfilm haben, der zeigt, wie das Nazi Regime langsam aber sicher in unser aller Leben eindrang.“
Die Dreharbeiten begannen mit einer Familie, die seit einem Jahrhundert in diesem Haus lebt - die Illigens. Ursprünglich besaßen sie den Lebensmittelladen. Später verwandelte ihr Sohn dieses Geschäft in ein Fotogeschäft, "Foto-Illigens". Das ist Bernhard Illigens. Für ihn war die Fotographie Arbeit und Hobby zugleich. Er hat die Werbung gemacht, die viele Monate lang in dem Schaufenster seines Fotoladens hing. Sein Bruder, Herrmann kann uns über Bernhards Familienfilme erzählen.
Familienfilme von Bernhard. ( Lied „Es ist ein Ros entsprungen“)
HERMANN ILLIGENS: „Weihnachten '38. Einer der frühesten Filme an die ich mich erinnere. Das bin ich in Uniform. Gütiger Himmel, schon ein Obergefreiter! Hilde, mein Vater und Sophie, mein Bruder Rudolf, Martha, meine Mutter und unser Hausmädchen. Bernhard konnte nicht dabei sein, weil er gefilmt hat und Hugo konnte nicht dabei sein weil er das Licht hochhielt. Wir mussten die Knie beugen, wenn wir an der Kamera vorbei kamen um das Bild von Bernhard nicht zu verderben. Und da ist wieder die Mutter.
Jetzt sehen wir Heinz Wilhelm Hessling beim Betrachten früherer Filme, die er und sein Vater gemacht haben“.
HEINZ WILHELM HESSLING: „Jedes Jahr verbrachten wir unseren Urlaub in unserem Jagdhaus hundert Meilen südlich von Beckum. Dieser Film ist im Spätsommer 1939 entstanden, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Mein Vater besaß eine Zementfabrik in Beckum, aber jedes Wochenende besuchte uns mein Vater und brachte Geschenke für uns mit - ein tragbares Radio und einen Plattenspieler. Und er veränderte das Mittagessen, er fuhr mit unserem Auto zum Schwimmen in dem See und später zum Picknick. (Rufe auf Deutsch) Und im Radio liefen Propagandanachrichten (Hitler spricht), also schaltete meine Mutter es aus und wir hörten das neueste Lied von Zarah Leander . Wir alle genossen den Sommer 1939“.
Hessling: „Du siehst mich mit meinen Schulfreunden, wie wir in unserem Garten in Beckum arbeiten. Ich gehörte zur Fliegergruppe der Hitlerjugend. Das hat mir Spaß gemacht, weil ich Flugzeuge liebe. Ich war vierzehn Jahre alt, als ich mein erstes Segelflugzeug flog und - hier seht ihr mich, auf diesem Bild, wie ich es fliege. Diese englischen und deutschen Flugzeuge dienten der Identifikation. Das ist der berühmteste britische Bomber, die Vickers Wellington. Und du siehst die berühmte Messerschmidt Einhundertneun.“
(Musik: Jungvolk Hitler Jugend)
ERICH BOMKE: „Bald war die ganze deutsche Jugend organisiert. Am Anfang war es freiwillig. Wir haben unseren Beitrag bezahlt, es hat Spaß gemacht. Dann, später, wurde es Pflicht. Es war notwendig Mitglied zu sein wenn man im späteren Leben Erfolg haben wollte. Als es zur Pflicht wurde, änderten sich die Programme. Es wurde nicht mehr gesungen, geklatscht und gespielt. Stattdessen konzentrierten wir uns auf vormilitärische Aktivitäten: Schieß- und Feldmanöver und, sogar in der Schule selbst hörte die politische Indoktrination nicht auf. Meine Hitlerjugend Freunde waren auch meine Klassenkameraden in der Schule. Ich habe hier mein altes Schulbuch über Mathematik: „Berechne die Fläche eines Hakenkreuzes.“ Man kann kaum glauben, dass sie das von uns verlangt haben.“
(Dolmetscher): Allein die Vorstellung davon ist fast unglaublich.
BOMKE: „ Ja, das ist richtig... Eigentlich mag ich das Buch, ich schaue es heute noch an. Wenn das nicht in dem Buch enthalten gewesen wäre, wäre es nicht veröffentlicht worden. Ja, Schulbücher… Ich habe hier noch eins. Es gehörte nicht mir sondern Paul, - schau, er musste Aufsätze schreiben in der Altdeutschen Schrift.“
(Dolmetscher): „Altdeutsche Schrift, wirklich, die kann man ja kaum lesen!“
(Dolmetscher): „ Rassen in Europa ...
Die nordische Rasse: Nordische Menschen sind hochgewachsen und haben lange, schmale Gesichter mit wohlgeformten, geraden Nasen. Es ist verrückt, unglaublich ...“
BOMKE: „ Feines, blondes Paar, blaue Augen, rosa-weißer Teint. Sie zeichnen sich aus durch ihre Taten, ihre Energie und ihren Mut. Der nordische Mann weiß sich durchzusetzen und ist bekannt für seinen starken Kampfgeist und seine Führungsqualitäten.“
Das trifft jedoch nicht wirklich auf unsere Kameramann Karl Plote zu, der diese Szene mit seiner gewohnt ruhigen Hand gefilmt hat. Er kann uns seine Eindrücke schildern:“
KARL PLOTE: „Ja, hier sehen wir, wie schon die Kleinsten ermutigt werden, miteinander zu kämpfen. Das tun sie natürlich auch heute noch, aber damals war das Motiv hinter all diesem Sport: der Wunsch nach Verteidigungsbereitschaft. Alles wurde nach militärischen Gesichtspunkten organisiert. Sport wurde gefördert als eine Form der militärischen Erziehung.“
DOROTHEA ILLIGENS: „In den späten dreißiger Jahren war ich eine junge Ehefrau und Mutter. Mein Mann war der der Rechtsanwalt Dr. Engelbert Illigens. Wir hatten zwei Kinder, eine Tochter Renate und einen Sohn Eberhardt. Wir hatten hier einen sehr schönen Garten, in dem die Kinder spielten und wir waren alle sehr, sehr glücklich. Das vergangene Leben war unkompliziert. Die Dinge waren eigentlich ganz normal, bis auf das gravierende Problem, dass man nicht frei reden konnte. Man durfte nicht über den Nationalsozialismus reden. Man musste immer sehr vorsichtig sein. Ich erinnere mich an einen Vorfall, als mein Mann etwas indiskret war. Er war abends mit ein paar Freunden unterwegs und hatte ein bisschen zu viel „gemeckert“ und am nächsten Tag rief ein guter Freund an, um ihn zu warnen, dass er sehr unvorsichtig gewesen sei. In der Gruppe wäre ein Schneider anwesend gewesen, der ihn für das was er gesagt hatte anzeigen wolle. Also ging mein Mann zu dem Schneider und fragte: "Habe ich nicht gestern einen neuen Anzug bei Ihnen für die Taufe meines Sohnes bestellt?" - "Nein", sagte der Schneider "Sie haben nichts bestellt.
"Nein? Ich muss wohl ganz betrunken gewesen sein“ erwiderte mein Mann und gab dem Schneider die Bestellung, über die dieser sich so freute, dass er meinen Mann nicht anzeigte - was er ansonsten sicher getan hätte. Man musste sehr vorsichtig sein und mein Mann war es nicht immer.“
HERMANN ILLIGENS : „Ich bin Hermann Illigens. Sie haben gerade meine Cousine Dorothea Illigens gesehen. Das Haus hinter mir hier – da bin ich geboren und aufgewachsen. Mein Vater begann 1907 mit einem Lebensmittelgeschäft, baute auch die Drogerie in dem gelb-weißen Haus. Dort machte mein Bruder Bernhard seine ersten Versuche mit der Fotografie und der Filmtechnik. Meine Eltern waren Eigentümer des alten Hauses, das seit über hundert Jahren auf diesem Grundstück steht. Viele der Familienfilme meines Bruders Bernhard wurden in diesem Haus und auf diesem Grundstück gedreht.
Aber Bernhard war ein geselliger, freundlicher Typ der vielen Gruppen und Vereinen angehörte und immer eine führende Rolle spielte. Hier ist er bei einem Schützenfest auf dem Land bei Beckum. Sie amüsieren sich ohne die Damen. Nur ein Haufen fröhlicher Leute, die zusammen sind. (Lied „Bier her, Bier her, soll das Bier im Keller liegen…“)
„Bier trinken“ ist etwas, das Beckum gut kann, das haben Sie sicher schon gemerkt! Dies ist ein typisches Beckumer Schützenfest - eines der kleinsten in unserem Verein. Früher dauerte es von Sonntagnachmittag bis in die späte Nacht hinein. Ist es nicht ein schönes Schützenfest? Wenn ich die Bilder davon sehe, fühle ich mich wieder jung! Da, an der Seite, das ist der Bernhard. Der weiß wie man aus der Flasche trinkt! Ich wundere mich wer das gefilmt hat? Vielleicht war Plote auch dabei? (Gesang)
Mein Bruder war in so vielen Vereinen und bei der Feuerwehr, und hier sehen Sie ihn bei der Ankunft im Planungsausschuss des Karnevals. Was glaubst du, wie er dorthin gekommen ist?
(Wieder Lied „Bier her …) Über das Karnevalskomitee hat er seinen Spitznamen „Zahme“ erhalten. Der Mann mit dem interessanten Haarschnitt ist der Präsident. Hier stellt er einen Entwurf für den Karneval des nächsten Jahres vor.
"Rumskedi" ist der Schlachtruf des Beckumer Karnevals. Sein Symbol ist der Schwarze Kater (Bandmusik) Es war nicht immer reiner Spaß. In einem Jahr passte der gewählte Prinz dem Nazi Parteichef nicht, weil er kein Parteimitglied war. Also musste dieser Prinz durch einen anderen ersetzt werden, der Parteimitglied war. Und doch war politische Satire möglich. Es gab die Parole "Jede Frau, jedes Jahr, dem Führer ein Kind" - " Und, du siehst eine ganze Galerie von jungen Müttern, die das Ergebnis in Kinderwägen vor sich herschieben.
Aber selbst im Karneval mussten wir vorsichtig sein. Wenn man zu weit ging oder ein Jude war, konnte man durchaus im Gefängnis landen.
Und hier siehst du den Kameramann, der immer unseren Karnevalsumzug gefilmt hat - Karl Plote“_
„ Mein Name ist KARL PLOTE “: „Ich habe viele Jahre in Beckum gelebt. Seit 1926 filme ich und seitdem war es immer mein größtes Hobby, mit der Kamera in der Hand durchs Leben zu gehen und alles zu festzuhalten was mir wichtig erschien. Mit dieser kleinen und einfachen Kamera habe ich fast alle großen Ereignisse in Beckum gefilmt. Man hält die Kamera einfach in der Hand, stellt den Fokus auf nah oder fern und beginnt zu filmen. Und es hat funktioniert. Man musste keine vollautomatische Kamera haben, wie wir sie heute benutzen.
Das Filmmaterial habe ich immer von Herrn Illigens gekauft. Er war ein Freund von mir. Ihm gehörte die Drogerie und er hatte immer Filme auf Lager.
Man vergisst heute oft, dass er selbst viel gefilmt hat.
Und ich hatte eine liebe, süße Freundin, die ich fast geheiratet hätte … das waren glückliche Zeiten! - alles, bevor ich meine Frau kennen gelernte habe. Es muss - ja - 1936 gewesen sein. Das wurde alles mit einer handgekurbelten Kamera aufgenommen.
Und das sind mein Vater und mein Bruder, die sich die neue Autobahn anschauen wollen... Und diese Autobahn wurde von Hitler gebaut, weißt du. Damals konnten durch den Bau viele dringend benötigte Arbeitsplätze geschaffen werden. Hitler sollte diese Autobahn für seine späteren Kriegszüge nutzen - das wussten wir anfangs nicht. Mein Vater hatte seine Stelle als Beamter verloren als Hitler an die Macht kam. Dann wurde mir gesagt, dass ich das gleiche Schicksal wie mein Vater erleiden würde, falls ich nicht in die Nazipartei eintrete. Ich hatte keine andere Wahl, als mich um die Mitgliedschaft zu bewerben. Ich trat gegen meinen Willen ein, und damit war der Fall für mich erledigt. Ich zahlte meinen Mitgliedsbeitrag und konnte meinen Job behalten.“
Mein Name ist HEINRICH MEHRHOFF: „Ich bin zweiundsiebzig Jahre alt und arbeite seit dreiundvierzig Jahren bei der Dyckerhoff-Zementfabrik. Dies ist ein Teil des stillgelegten Werks. In den Jahren von 1927 bis 1930 habe ich hier im alten Werk gearbeitet. Zu dieser Zeit waren die Arbeitsbedingungen sehr, sehr schlecht.
Dann, im Jahre 1930, kam die große Wirtschaftskrise. Wir wurden alle entlassen. Es waren schlimme, böse Jahre, zwischen 1930 und 1935 und - nach dem Regierungswechsel, nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, wurde das Werk 1935 von der Firma Dyckerhoff wieder eröffnet, und dann wurden wir alle wieder eingestellt. Und wir konnten nicht glauben, wie sehr sich unsere Arbeitsbedingungen seit den früheren Jahren verbessert hatten. Das Hauptaugen-merk war jetzt hygienische Bedingungen bei den Arbeitsplätzen und für die Arbeiter. Es wurden Werkskantinen eröffnet, die Krankenversicherung wurde verbessert, Familienbeihilfen wurden eingeführt.
Nach den großen Unruhen von 1930 bis 1933 war endlich die politische Ordnung wiederhergestellt - so sahen es die meisten Menschen: Die Rückkehr von Ruhe und Ordnung. Und weil die Arbeit wieder begonnen hatte, der Aufbau da war und Beschäftigung, waren einige sehr zufrieden und glaubten, dass sie die richtige Politik gefunden hatten. Und so wuchs der Rückhalt für die Nationalsozialistische Partei immer stärker.
Ich bin GERHARD ROGGENKAMP: „ Ich war viele Jahre lang arbeitslos und habe hier in der Zementfabrik Dyckerhoff Arbeit gefunden. Am Tag der Eröffnungsfeier war hier an der Brücke alles mit Fahnen geschmückt und es ertönten die Trompeten, die Musik! (Marsch Musik) Und auch die wichtigen Männer waren da und sie riefen uns zu: "An die Arbeit!". Wir warteten auf der anderen Seite der Brücke und wir riefen zurück: „Wir sind auf dem Weg!“ und wir marschierten los. Vierzig/fünfzig Männer waren wir und schritten über die Brücke um zu arbeiten … (Die Musik spielt immer noch)
Und ich dachte hinterher, dass es der schönste ... einer der schönsten Tage… in meinem Leben war, dass wir wieder Arbeit hatten und Geld verdienen konnten!
Man war immer am Sammeln und jeder musste sammeln. Wie hier, die Polizei. Die beste Spende war Geld, weil das leicht zu verwalten war, aber auch Lebensmittel jeder Art wurden gesammelt, Pakete wurden gepackt, die für arme Leute bestimmt waren. Und dann gab es noch die Einrichtung „ein ... ... Essen“ - „'eine warme Mahlzeit“. Einmal im Monat waren wir dazu verpflichtet. Sonntags wurde erwartet dass wir eine einfache dicke Suppe essen und das gesparte Geld abliefern. Und um ein großes Spektakel daraus zu machen, wurden die alten Leute öffentlich aus dem Gulaschtopf versorgt der als Symbol für die "eine warme Mahlzeit" stand.
Die Illigens machten früher ein wunderbares Essen, sie nannten es „Spanisches Frico“. Es ist ein Eintopf aber mit viel Fleisch und wenig Kartoffeln. Doch die SA-Männer kamen vorbei, um zu kontrollieren, ob wir „Eintopf“ essen und meine Mutter zeigte ihnen einen großen Topf und sie hoben den Deckel an und sagten "ja, Eintopf ... "'. Wie Sie sehen können, hat es sehr gut geschmeckt. Wir haben aus tiefen Suppentellern gegessen, denn so soll man einen Eintopf essen, also haben wir ein bisschen geschummelt! Denn wenn wir am Wochenende zu Hause waren, wollten wir etwas Anständiges zum Sonntagsessen.
Aber dem politischen Druck ausweichen zu können war die Ausnahme. Paul Lütke wird uns die Realitäten des Lebens unter Hitlers Diktatur schildern:“
PAUL LÜTKE: „ Natürlich waren all diese Kollekten nur für gute Deutsche, nicht für Kommunisten und nicht für Juden. Es gibt noch eine Geschichte, die mein Vater uns erzählt hat. Ich kann mich erinnern. Der Jude Terhoch, er wohnte in Beckum auf der Nordstraße und eines Tages kam er zurück und ging an dem Haus meines Vaters vorbei und er sagte zu meinem Vater: "Heute hat niemand etwas gekauft.“
Und da war eine Bäuerin und gerade in dem Moment, als die Bäuerin etwas kaufen wollte, kam ein Kind in die Küche und sagte: "Mutter, das ist ein Jude und wenn du etwas kaufst, werde ich es in der Schule erzählen“ - also konnte man seiner eigenen Familie fast nicht trauen.“
HUGO KRICK: „ Mein Name ist Hugo Krick. Ich lebte in diesem Haus mit meinen Eltern, und die Familie Terhoch wohnte auf der anderen Seite der Straße in deren Haus. Ich war dreizehn Jahre alt und ich erinnere mich gut an die Nacht des neunten Novembers 1938, die Reichskristallnacht. Mein Vater rief mich aus dem Bett und zeigte mir durch das Fenster, was auf der Straße geschah. Ich sah, wie in den Häusern der Juden die Fenster eingeschlagen und die Möbel auf die Straße geworfen wurden. Mein Vater weinte und wollte sie aufhalten, aber meine Mutterhielt ihn zurück. Er erkannte die Gefahr und schloss das Fenster.
Niemand sprach über die Reichskristallnacht.
Später hörte ich, dass die Terhochs in einem Konzentrationslager starben, wie viele andere. Bald gab es keine Juden mehr in Beckum und wir hatten doch als Teil der Gemeinde zusammen in der Nordstraße gelebt.“
Die Familie Stein, Nummer zweiundfünfzig, verkaufte Damen- und Herrenbekleidung. Die Familie Terhoch, Nummer vierunddreißig, verkaufte Wolle. Die Familie Löhnberg, Nummer zweiunddreißig, verkaufte Pelze. Die Familie Windmueller verkaufte Pferde, und unten in der Nordstraße war die jüdische Synagoge.“ (Jüdischer Gesang)
DOROTHEA ILLIGENS: „Dieses Foto von der Rückseite der Synagoge wurde von unserem Haus aus aufgenommen. Die Synagoge lag hinter unserem Garten und an vielen Abenden hörten wir die Gebete und Gesänge der Juden.(Gesang) Ich erinnere ich mich gut an die Reichskristallnacht. Mein kleiner Sohn war sehr krank, er hatte eine schwere Augenentzündung und ich bin die halbe Nacht auf und ab gegangen und habe um ihn geweint. Dann hörte ich, immer wieder, auf der Straße, Gehen, Rennen, Schreien, Fenster werden eingeschlagen. Die SS war in die jüdischen Häuser eingedrungen. Sie hatten die Juden auf die Straße getrieben. Sie hatten sie so verprügelt, dass sie ins Krankenhaus mussten, aber niemand traute sich, etwas dagegen zu unternehmen oder nach draußen zu gehen. Man wusste nicht genau, was los war, aber man spürte, dass es etwas Schreckliches war.
Und am nächsten Morgen sprach niemand mehr darüber. Die meisten Leute blieben in ihren Häusern, sie waren einfach froh, dass sie nicht beteiligt waren. Und ich war zu sehr damit beschäftigt, mich um mein Kind zu kümmern, um zu begreifen, was draußen passierte.“
PAUL LÜTKE : „Ich erinnere mich an den Morgen nach der Reichskristallnacht, als ich zum Bahnhof ging. Auf dieser Straße war der Laden des Juden Stein und alle Waren lagen am Morgen auf der Straße und man musste über die Waren springen, um zum Bahnhof zu kommen.
Vier Monate nach der Reichskristallnacht und das ist die Nordstraße.(Musik) Die Schäden an jüdischen Geschäften sind nicht mehr zu sehen. Einige Häuser sind abgerissen worden und hier stand früher das Haus der Familie Stein. Jetzt soll die SA hier durchgehen. Pflastersteine werden verlegt, Straßen gefegt und gesäubert, Löcher werden mit Fahnenstangen geschmückt. Hier ist sie, die Fahne unserer Stadt, die nicht rot ist wie sonst alles, mit einem weißen Schild und einem schwarzen Hakenkreuz.
Es scheint, als ob jeder draußen und unterwegs ist - das ist sehr berührend. - Übrigens, das war der vorgeschriebene militärische Haarschnitt. (Musik ertönt) Und das ist unser Rathaus in voller Pracht.
Was ist denn da los? Wir erwarten die sogenannte "Alte Garde", die Männer, die als erste der Nazipartei beigetreten waren. Alle sind in Uniform, und hier kommen die Fahnen. Sie mussten immer mit dem so genannten „Deutschen Gruß“ gegrüßt werden - „Heil Hitler“-. (Bandmusik läuft weiter)
Die 'Arbeit' - das ist jetzt die letzte Etappe, bevor man Soldat wird. Bald wird der Spaten gegen das Gewehr getauscht und das ist unsere Feuerwehr. Irgendwo in diesem Haufen ist Illigens. Und irgendwo da hinten marschiere auch ich.
Ich erkenne so manches Gesicht. Vier Jahre später sind mehr als die Hälfte - ganz unschuldig - tot.
Man wartet auf das Jungvolk auf der linken Seite. Und das sind die Arbeiter, zum Beispiel sind die Metzger vertreten. (Gesang, Ein Chor). Bis jetzt sind keine Uniformierten hier - nur hier und da, das Parteiabzeichen. Das ist der Kindergarten mit Stahlhelmen und Holzschwertern. Achtung! (Bandmusik – Badenweiler Marsch) „Der Marsch“ - - er wird normalerweise nur gespielt, wenn Hitler persönlich erscheint, aber jetzt ist es für die „Alte Garde“, Parteigenossen des Führers mit geringer Parteimitgliederzahl. Wenn sie ankommen, sind sie sehr betrunken. Sie kommen gerade von... (?), wo sie eine Schnaps-Brauerei besucht haben. Sie sind sehr angeheitert. Einige müssen sich sogar seitlich festhalten und können nicht mehr aufrecht stehen, geschweige denn die förmliche Begrüßung vornehmen, wie es üblich ist. Sie scheinen nicht erfreut über die Menge. Sie rufen unaufhörlich "Komm schon, schrei, brüll". Die in den schwarzen Uniformen sind SS, die braunen SA. Der Rest - verschiedene Parteimitglieder. Offensichtlich sind einige immer noch zu betrunken, um mitzumachen. Ein paar Plätze sind noch frei. Das ganze dauerte kaum vier Minuten. Ein Vorbeimarschieren von Betrunkenen durch die Stadt und keine Mühe war gescheut worden! Sie dachten es gibt ein großes Volksfest im Hermann-Göring-Stadion und dann kam ein Mann mit einer Kamera, der immer da war, wenn es etwas Besonderes zu filmen gab in Beckum - Plote.“
KARL PLOTE : „ Die ganze Stadt war auf den Beinen, aber ich war nicht begeistert, denn alles wurde von den Parteimitgliedern und den Männern in den Autos beherrscht, die die Menge dazu aufforderten „Heil“ zu schreien. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, wie das alles ablief: Die Ordnungshüter wussten genau, wer ein Nazi war und wer nicht und sie mussten von Haus zu Haus gehen und den Leuten sagen: "Ihr wisst, was ihr zu tun habt - schmückt euer Haus, hängt eine Fahne auf und ziehen Sie sich schick an, denn die „Alte Garde“ ist im Anmarsch, die ursprünglichen Gründer der Nazipartei - die Männer mit den geringsten Mitgliederzahlen - ihr habt verstanden, was für eine große Ehre das für Beckum ist - und dann hat jeder getan was sie wollten, weil jeder die Partei fürchtete.
Nachdem die „Alte Garde“ durch Beckum marschiert war, strömten die Leute zum Stadion, wo ein großes Volksfest stattfand. Hier ist mein Freund Zahme Illigens, rechts auf dem Foto, von dem ich mein Filmmaterial kaufte.
Die Partei verstand es gut, das Volk mit Spielen und Festen bei Laune zu halten, und ich kann nicht sagen, dass es vor dem Ausbruch des Krieges große Unruhen gab. Im Gegenteil, ich weiß dass sich sehr viele Menschen für das Militär und das Militärische begeistert hatten, da ihnen das seit 1933 durch ständigen Drill eingeimpft worden war - Marschieren in Kolonnen und vormilitärische Organisationen. Schießstände für Schießübungen wurden aufgebaut, die Schützenfeste hatten ihre Blütezeit, die Kriegsveteranen marschierten wieder und auch im sportlichen Bereich trat die Politik immer mehr in den Vordergrund. (Musik)
Aber das Wichtigste war, dass es ein schöner Tag war, die Sonne schien, es war fast zu warm. Es ist völlig verständlich dass niemand sich vorstellen konnte, dass die Deutsche Armee wenig später in Polen einmarschieren und damit den Zweiten Weltkrieg auslösen würde.“
ERICH BOMKE: „ Am ersten September 1939 brach der Krieg aus. In Beckum bemerkten wir zunächst keine große Veränderung, abgesehen von der Verdunkelung. Junge Männer wurden einberufen, Lehrer von unserer Schule und junge Arbeiter wie bei der Firma Hessling Zement.
HEINZ WILHELM HESSLING: „ Zu Beginn des Krieges beschäftigte die Zementfabrik meines Vaters fünfzig Mann und etwa zehn Leute wurden zur Armee einberufen und hier sehen Sie einen der Zementarbeiter in seiner Uniform, wie er sich von seinen Arbeitskollegen verabschiedet. Mehrere Arbeiter fielen im Kampf und zwei von ihnen verloren ein Bein.
Zu Beginn des Krieges benötigte die Armee Stabsfahrzeuge.
Ich besaß Truppenfahrzeuge und musste unseren neuen Mercedes aufgeben, aber wir dachten, der Sieg sei nahe und unser Mercedes würde uns innerhalb eines Jahres zurückgegeben werden. Meine Familie war sehr traurig, als wir unser Auto auf die Polizeiwache fahren mussten und wir sagten „goodbye“ zu unserem Auto.
Wir haben unseren Mercedes nie wieder gesehen.
Diese Bilder wurden zu Beginn des Krieges aufgenommen als meine Familie und Freunde zum Skifahren in die Nähe von Beckum fuhren.
Später wurden uns auch unsere Skier genommen, weil die deutsche Armee während des Winterfeldzugs in Russland große Probleme mit dem heftigenSchnee hatte. Aber ich war froh, meine Skier den Soldaten zu überlassen.
Im Jahr 1941, Mitte September, hatte Beckum seinen ersten und letzten britischen Luftangriff in der Nacht. Die Verdunkelung in Beckum hatte nicht funktioniert und einer der britischen Piloten entdeckte ein Licht und warf seine Bomben ab. Die Bomben trafen einige Häuser und töteten einen Mann, der hundert Meter von unserem Haus entfernt wohnte. Am nächsten Morgen filmte ich die Schäden, und ich sah Zahme Illigens auf einer Leiter. Er gehörte zur freiwilligen Feuerwehr.
Hier sind mein Vater und meine Schwester, wie sie im Bombenkrater stehen, auf der Suche nach Bombensplittern als Souvenir.
Im Jahr 1943 wurden die feindlichen Luftangriffe verstärkt und meine Klasse wurde einberufen, um in der Flak Batterie in Munster zu helfen. Vormittags hatten wir noch Unterricht und nachmittags hatten wir Dienst.
Hier sind meine Freunde und hier bin ich. Eines Tages, ich erinnere mich, haben meine Einheit und die deutschen Jäger dreißig „Fliegende Festungen“ innerhalb von zwanzig Minuten abgeschossen. Vier Monate später wurde Ich eingezogen und diente in der deutschen Luftwaffe.“ (Musik)
HERMANNN ILLIGENS: „ 1940 hatten wir in unserer Stadt eine Einheit der SS einquartiert, die auf dem Weg nach Frankreich war. (Musik) Oft gaben sie Konzerte auf dem Marktplatz, um der Stadt für ihre Gastfreundschaft zu danken. Es wurden große Anstrengungen unternommen, um ein gutes Verhältnis zwischen der gastgebenden Bevölkerung und den Soldaten zu pflegen. Es wurde auch viel herumgealbert zwischen der einquartierten Bevölkerung und den Einheimischen. Sie teilten nicht nur das eine oder andere Getränk - wenn sie eines auftreiben konnten - sondern, wie wir sehen, sogar die Kleidung.
„Kein Hut passt mir“ - das ist unser Freund, Willi Funke. Er war vorbeigekommen, um sich bei uns zu verabschieden. Das ist Leo Fleuter in Uniform. Er war nie Soldat. Sie haben sich alle verändert. Diese beiden waren keine Soldaten. Diese beiden sind Soldaten, nicht in Uniform. Das ist Willi Funke, der so tut, als wäre er ein SS Mann. Sie haben eine Übung im Garten gemacht. Ich war nicht dabei, aber ich habe alles vom Hörensagen erfahren. Und mein Bruder Bernhard hat uns diese Filme gezeigt, um uns zu unterhalten wenn wir im Urlaub zu Hause waren.
Da sind die Männer auf ihrem Weg zur Einberufung. Das ist Bernhard ... Bernhard beim Einberufungsmarsch. Ich habe noch ein Foto im Album. Die haben versucht, den Bernhard einzuberufen, ja? Aber Bernhard ist nie ein Soldat geworden. Ich glaube, das war wegen seiner Arbeit bei der freiwilligen Feuerwehr … und das war schwere Arbeit. Ein Sohn wurde einberufen und ein anderer und noch ein anderer und noch ein anderer.“ (Gesang, Marlene Dietrich)
ILLIGENS: „Das bin ich, auf dem Weg zur Front nach Frankreich. In meinem Rucksack trage ich alles, was ich für die ganze Zeit brauchte -vier Unterhosen, zwei Rasierapparate, Brotbeutel, Kochgeschirr (billycan) - alles in diesem Rucksack. Und alles musste getragen werden.
Hermann war bald zu Hause und auf Heimat Urlaub. (Gesang, Marlene Dietrich)
Ja, wenn wir wieder zusammen waren, haben wir immer gefeiert und Bernhard hat gefilmt. Wir waren immer glücklich, zusammen zu sein und wir haben es geliebt, auf Heimat Urlaub nach Hause zu kommen.“
ILLIGENS: „ Das bin ich, Hermann Illigens, mit offenem Kragen. Bernhard trägt eine schwarze Krawatte, (als ob sein Vater gestorben wäre). Und unser erstes Familienradio steht hinter uns (Gesang.) Die Familie wusste nichts von Emmi. Sie dachten, ich sei zu jung, um eine Freundin zu haben. Es kam alles heraus als ich im Heimat Urlaub war. Ein Paket kam an, adressiert an Hermann Illigens. Das Paket kam aus Coesfeld. Und ich musste alles erklären: dass ich ein Mädchen namens Emmi hatte und dass sie in Coesfeld wohnt.
Und da sind wir nun alle, nach der Verlobung. Ich stelle Emmi der Familie vor. Wie schnell sie isst! Sie muss sehr hungrig gewesen sein. Meine Schwester Martha hat sich sehr um mich gekümmert. Oh, ich muss etwas Falsches gesagt haben - meine Frau zieht mich an den Haaren. Bernhard scheint mit großem Genuss zu essen. Und das sollte nicht im Bild sein. Ich trinke Kaffee mit einem Löffel! Und da sind wir nun alle, nach der Verlobung. Ich stelle Emmi der Familie vor. Wie schnell sie isst! Sie muss sehr hungrig gewesen sein. Meine Schwester Martha hat sich sehr um mich gekümmert. Oh, ich muss etwas Falsches gesagt haben - meine Frau zieht mich an den Haaren. Bernhard scheint mit großem Genuss zu essen. Und das sollte nicht im Bild sein: Ich trinke Kaffee mit einem Löffel!
Emmi umarmt ihn: „Emmi, eh, nicht in der Öffentlichkeit im Film!“
Bernhard ist der Kamera Mann. Meine Frau hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meinem ältesten Bruder, Bernhard. Damals durfte ich noch rauchen.“
EMMI ILLIGENS: „ Ich kam als Verlobte nach Beckum und war angenehm überrascht, dass ich sofort akzeptiert wurde. Mein Mann hatte so viele Schwestern und es war Sommer und 1943 hatten wir die Möglichkeit, draußen Kaffee zu trinken. Das war hier, in diesem Garten, mit Stachelbeeren Tarte, leckerem Kuchen und viel Spaß...“
ILLIGENS: „ Nach den Feierlichkeiten musste ich wieder fort und fuhr mit meinem Rucksack zurück an die Front nach Russland. Es dauerte eineinhalb Jahre bis ich wieder Urlaub hatte. Das war 1944. Ich konnte sehen, dass der Krieg sich dem Ende zuneigte. Dass wir verloren hatten, war mir egal. Wir hatten so lange gewartet und ich war so lange verlobt gewesen, also war es Zeit zu heiraten. Dann habe ich Urlaub bekommen und ich habe sie angerufen und gesagt: "Wir heiraten".
EMMI ILLIGENS: „ Der Stoff für mein Hochzeitskleid wurde mir von Frankreich von meinem Bruder, der dort Soldat war, geschickt. Es wurde in großer Eile genäht, weil mein Ehemann angerufen und gesagt hatte: "Ich bin schon auf dem Weg zur Hochzeit - wir werden heiraten“.“Oh“, sagte ich „und so schnell. Mein Hochzeitskleid ist noch nicht fertig“. Doch die Näherin gab sich große Mühe und machte es an einem Tag fertig und am nächsten Tag wurden wir in der Stephanskirche getraut.“ (Musik)
ILLIGENS : „Da ist Renate Illigens – die Tochter –die die Prozession anführt. Da bin ich und Martha, Bernhard und Maria …denn es war eine Kriegshochzeit. Bernhard's Frau…. und jetzt sagt uns Bernhard, wie wir uns für das Foto aufstellen sollen (Orgel Musik). Martha bringt die Blumen, sie müssen natürlich mit auf dem Bild sein. Meine Schwägerin Hildegard - sie musste Bernhards Hobby nicht nur akzeptieren, sie musste mitmachen. Meine Schwester Martha hat die Fotos gemacht.
Da kommt die Hochzeitskutsche um uns nach Hause zu fahren.“
EMMI ILLIGENS: „ So ärmlich war unsere Hochzeit nicht, nicht wahr? Und es war ja eine Hochzeit in Kriegszeiten!! Während des Krieges gab es viel Hunger und so hielten wir drei Schweine um uns zu ernähren.“
ILLIGENS: „ Da ... da sind unsere Schweine und Maria jagt sie gerade. Sie merkt, dass Bernhard sie filmt und ist nicht sehr erfreut. Es sind sehr schöne Schweine. Und jetzt jagt Bernhard sie.
Gegen Ende des Jahres 1940 wurde ich nach Oberschlesien als Zivildienstleistender versetzt, und dort verbrachte ich den Rest des Krieges. Mein Bruder pflegte mich dort zu besuchen, wenn er Urlaub von seiner Einheit hatte und er brachte die Filme mit, die er gerade aufgenommen hatte, und so erfuhr ich, in meinem Zuhause, was er an der Front erlebt hatte.
Hier sehen wir ihn in einen Zug steigen, der ihn zu einem unbekannten Ziel an der Front, tief in Russland, bringen soll. Ich hatte keine direkte Erfahrung mit dem Krieg oder dem Soldatenleben. Mein Bruder war bei einer Stuka Staffel und als ich diese Bilder von dem sehr harten russischen Winters sah - der so viele Menschenleben forderte - als ich diese Bilder sah, wusste ich, dass wir den Krieg einfach nicht gewinnen konnten.
Bis '42 oder '43 glaubten wir alle, dass wir gewinnen würden. Aber dann wurden wir einberufen und sahen die Front mit eigenen Augen.
Ja, ja, bis wir mit eigenen Augen gesehen haben, wie die Bedingungen an der Front waren!
Ja, ab 1942 wurden wir alle nach und nach einberufen. Wir hatten gerade unser Abitur gemacht und innerhalb von vierzehn Tagen waren wir Soldaten. Dann hatten wir eine sehr kurze Grundausbildung - ich glaube, es waren etwa sechs Wochen - und dann wurden wir nach Russland geschickt, weil die Wehrmacht im Osten so massive Verluste erlitten hatte. Sie hatten einen schrecklichen Winter und bald danach kamen weitere russische Angriffe. Also wurden wir hin geschickt, um die Reihen wieder aufzufüllen.
Und so haben wir zwei oder drei Jahre lang kaum existiert. Wir mussten uns zurückziehen und die Front halten, und das Verhältnis war stets ein Deutscher auf etwa zehn Russen. Wir waren immer in der Minderheit. Das Gleiche galt für die Munition. Dann, am vierzehnten August, vor einundvierzig Jahren, wurde ich verwundet. Zuerst sah das nicht gut aus, weil ich große Schmerzen hatte und meine Einheit nicht verlassen wollte. Dann wurde ich zu einem Panzerwagen getragen und alle andere kamen um sich von mir zu verabschieden, und sie gratulierten mir und sagten, ich würde die Heimat wiedersehen und sie vielleicht nicht! Und so endete der Krieg für mich. Viele wären jetzt nicht hier, wenn sie nicht verwundet worden wären.“
ERICH BOMKE: „Das ist das Schuljahr '22/'23 welches – meine ich - am schlimmsten betroffenen war. Ich würde sagen, wenn man über den Durchschnitt nachdenkt, sind über fünfzig Prozent von uns nicht zurückgekehrt. Wenn man das Klassenfoto ansieht, dann ist das jeder zweite Junge, der im Krieg gefallen ist.
Für Beckum endete der Krieg einen Monat vor der endgültigen Kapitulation. Die Amerikaner hatten die Stadt eingekesselt und Engelbert Illigens, der Ehemann von Dorothea, ging mit einer weißen Fahne auf sie zu und übergab die Stadt.
Und was geschah mit den anderen Kameraleuten? Heinz Wilhelm Hessling wurde zwei Jahre lang in einem Gefangenenlager in Frankreich festgehalten,
Karl Plote wurde nie Soldat und kehrte deshalb ohne Schwierigkeiten zurück.
Sein Bruder Theo war fünf Jahre lang in einem russischen Kriegsgefangenenlager.
Aber für Bernhard Illigens, der überall beliebt war und viele Freunde hatte und der der Mann hinter „Foto Illigens“ war, brachte das Ende des Krieges eine Tragödie.“
EMMI ILLIGENS: „
Es war der erste März 1945. Die Amerikaner marschierten in die Stadt ein, Bernhard hatte seine Feuerwehruniform angezogen, falls es irgendwo brennen sollte. Er kletterte auf eine Leiter, ein Amerikaner verwechselte ihn mit einem SS-Soldaten - die Uniformen ähneln sich - er gab einen Schuss ab und Bernhard fiel tot zu Boden.
Wir waren alle untröstlich. Zwischen '41 und '45 hatten wir fünf Todesfälle zu beklagen: erst die Eltern, dann Hugo, dann Rudolf und dann Bernhard, der nur ein Feuerwehrmann war - das war ein grausamer Verlust für die Familie Illigens.
(Endet mit Glockengeläut)
29/30.11.85 (über Nacht)