Die Gleichschaltung der Vereine anhand des „Heimat- und Verkehrsverein Beckum e.V.“
Neben der Ausschaltung der politischen Parteien, der gewerkschaftlichen Organisationen und allen anderen wirtschaftlichen Institutionen - von der Landwirtschaft über das Handwerk und dem Handel hin zur Industrie - wurden auch die verschiedenen Vereine in Beckum nach und nach „gleichgeschaltet“, was bedeutete, dass sie sich der nationalsozialistischen Partei und ihrer Organisationen ideell und teilweise durch Personalunionen anschlossen. Im Fall einer Weigerung blieb nur die freiwillige oder die erzwungene Auflösung eines Vereins. Als ein Beispiel für die Gleichschaltung des Vereinslebens in Beckum wird hier die Gleichschaltung des „Heimat- und Verkehrsverein Beckum e.V.“ dargestellt.
Der Verein war ursprünglich am 13. März 1920 als „Verein für Orts- und Heimatkunde für Beckum und Umgegend“ gegründet worden. Ein erster Höhepunkt der Vereinsgeschichte war die Organisation und Durchführung des 700-jährigen Stadtjubiläums 1924. 1926 erfolgte die Umbenennung in „Heimat- und Verkehrsverein Beckum“. Ende 1932 legte der langjährige und erste Vorsitzende Robert Schmalohr sein Amt nieder und auf ihm folgte Heinrich Tenkhoff der entschlossen war, den Verein aus seinem „Dornröschenschlaf“ zu wecken.
Das erste Großereignis, welches vom Heimatverein nach der Machtergreifung veranstaltet wurde, war das „Heimatfest des Beckumer Landes“ am 21. Mai an der Soestwarte auf dem Höxberg. Es gab einen „Festzug aus 17 mit Grün geschmückten Wagen zusammengestellt, die mit den Kindern aller höheren Schulklassen in historischen Trachten besetzt waren. Es gab zum Beispiel einen Brautwagen, einen Pfingstkranzwagen, einen Kirchspielschulwagen und einen Wagen mit Schneewittchen und den sieben Zwergen. Dem Wagenzug voran ritt ein Bauknecht in heimatlicher Tracht. Dem Wagenzug folgten dann die Turner „sämtlich in Turnerkluft“ und dann kam der Heimatverein Beckum. Zwei Kapellen begleiteten den Zug, der in der frisch umbenannten Adolf-Hitler-Straße startete. Der Zug fuhr hinauf zum Höxberg, wo bereits „Tausende“ sich versammelt hatten. Rechtsanwalt Dr. Illigens hielt eine Ansprache an seine „lieben Beckumer Mitbürger und Mitbürgerinnen“. Er dankte dem Heimatvereinsvorsitzenden Tenkhoff für dieses gelungene Fest und den Beckumer Familien, dass sie alle gekommen waren. Am Ende der Ansprache zitierte Illigens die Inschrift auf dem Schwert des Hermann-Denkmals „Deutschlands Einigkeit meine Stärke. Deutschlands Einigkeit meine Kraft“. Den Cheruskerfürsten setzte er kurzerhand mit dem Reichskanzler Adolf Hitler gleich, auf den er und die versammelte Menge ein dreifaches Hoch ausbrachten: „Stehend sangen dann Tausende das Deutschland-Lied und das Horst-Wessel-Lied“. Tenkhoff hatte für die umfangreiche Restaurierung der Soestwarte gesorgt. So waren überall neue Fensterscheiben eingesetzt worden. Höhepunkt aber waren die fünf Fresken, die der „Heimat- und Verkehrsverein“ in Auftrag gegeben hatte. Sie zeigten den Beckumer Nachtwächter, das Stadtwappen und drei Beckumer Anschläge, den Beckumer Ochsen, die Sonnenuhr und den Beckumer Pütt. Sie waren vom Maler Willi Enkmann nach den Entwürfen von Stefan Funke an die Wände aufgebracht worden. Auf der Wiese marschierte die Tempelwache auf, ein Kasperletheater begeisterte die Kinder und die Turner zeigten eine Vorführung.“
Ein Beispiel für die direkte Übernahme von lange geplanten Kulturveranstaltungen durch die Nationalsozialisten war die Einweihung des Krügerdenkmals zum 90. Geburtstag des Heimatdichters Ferdinand Krüger aus Beckum am 27. Oktober 1933. Dieses Denkmal war seit vielen Jahren geplant gewesen und erst 1933 war genug Geld zusammengekommen, um die vorgesehene Bronzeplakette gießen lassen zu können. Zur Einweihung des Denkmals war folgende Einladung seitens des Heimatvereins ergangen: „Der Krüger-Ausschuss des Heimat- u. Verkehrsvereins Beckum erlaubt sich, Sie auf die am Sonntag, den 29. Oktober 1933, morgens 11 ½ Uhr in den Anlagen des Wilhelmplatzes stattfindende Einweihung des Krüger-Gedenksteins für den in Beckum geborenen großen westfälischen Dialektdichter Ferdinand Krüger hinzuweisen. Die Feier trägt den Charakter eines Bekenntnisses zu Heimat und Volk, an der sämtliche Volksgenossen Beckums teilnehmen sollen. [...] Mit Heimatgruss, „Heil Hitler“.“ Auch wenn hier der neue deutsche Gruß seitens des Heimatvereins noch in Anführungszeichen stand, so schwand am Tage der Einweihung jegliche, mögliche Distanz. An dem Denkmal, einem 90 Zentner schweren Findling, hatten sich neben dem Heimat- und Verkehrsverein auch die Krügerkommission, die SA-Kapelle, der Sängerbund Beckum, die NSDAP Ortsgruppenleitung und die Familie Krüger versammelt. Der Vorsitzende der Krügerkommission sprach über das Leben des Dichters, ihm folgte der Schwiegersohn des Dichters und abschließend der NS-Kreiskulturwart, welcher besonders hervorhob, dass Nationalsozialismus und Kultur keine Gegensätze seien. Ein literarischer Abend, auf dem als Gast der Reichsleiter für deutsches Vortragswesen und Volksbildung im Propagandaministerium Friedrich Castelle aus dem Werk Krügers rezitierte, beendete den Weihetag.
Auch nahm der Heimatverein Beckum am Westfalentag in Münster am 12./13. September 1933 regen Anteil. 200.000 Menschen kamen nach Münster, um dort den Reden des Gauleiters und des Vorsitzenden des Westfälischen Heimatbundes anzuhören. Die Beckumer Abordnung des Heimatvereins erhielt vom Bürgermeister persönlich eine Flagge mit dem Wappen der Stadt, um diese bei der Flaggenparade vorzuführen. Ideologisch wurde hier der Schulterschluss zwischen der Heimatbewegung in Westfalen und dem Nationalsozialismus gezogen, welche sich auf Volk, Boden und Rasse als Aufgabe der Heimatbewegung und -forschung verständigten.
Diese drei Beispiel zeigen, wie sich der Heimatverein als Organisation, mit seinen Veranstaltungen und ideologisch rasch und problemlos sich der nationalsozialistischen Diktatur unterordnete, so wie es anscheinend auch viele Beckumer machten. Am Donnerstag den 30. November 1933 erklärte daher auf einer Generalversammlung bei Hagedorn-Jürgens folgerichtig der Vorsitzende Tenkhoff, dass „die durch Reichsordnung vorgeschriebene Gleichschaltung“ auch im Heimatverein geschehen war. „Mit einem Sieg Heil! Auf den Reichspräsidenten und den Reichskanzler wurde die Versammlung geschlossen.“ Bereits im Januar 1934 hatte sich der Verein zu einer weiteren Generalversammlung getroffen. Wie weit sich der Heimatverein der nationalsozialistischen Ideologie geöffnet hatte, zeigte die Rede vom Vorsitzenden Tenkhoff. Kein Verein sei „zeitgemäßer“ als der Heimat- und Verkehrsverein: „Aus ideellen Gründen gegründet, verwachsen mit Blut und Boden, diene der Heimat- und Verkehrsverein selbstlos der Allgemeinheit.“ Als seine Aufgaben galten „durch Forschung die Vergangenheit zu ergründen, durch Sammlung das Alte zu erhalten, die Gegenwart in ihrer Eigenart zu fördern, mit ihr mitzugehen, den Verkehr an den Ort zu ziehen, die Stadt durch Parkanlagen zu verschönern.“
Dennoch zeigten sich auch Spannungen zwischen dem Heimatverein und der NS-Kulturgemeinde in Beckum. Dies war kein lokales Phänomen, wie folgender Gestapo-Bericht aus dem Mai 1935 zeigt. Der Gestapoleiter für den Regierungsbezirk Münster schrieb am 6. Mai 1935: „Die NS-Kulturgemeinde kann in den meisten Orten des Bezirks nur schwer Fuß fassen. […] Dazu kommt, dass der Westfale an und für sich zu kulturellen Veranstaltungen nur geht, wenn es ihm gerade passt oder wenn die Darbietungen bzw. die Veranstalter ihm bekannt sind. Eine feste Bindung geht er selten oder ungern ein. […] Die Einführung der hiesigen Bevölkerung in das deutsche Kulturgut kann nur ganz allmählich erfolgen. Vollkommen falsch würde es sein, bestehende Vereine zu zerschlagen, in der Hoffnung, dass die bisherigen Mitglieder dann in die NS-Kulturgemeinde eintreten würden. Richtiger und erfolgversprechender ist es vielmehr, die bestehenden Vereine, insbesondere die Heimatvereine als Ausgangspunkt für die kulturelle Arbeit zu benutzen und dann die NS-Kulturgemeinde einzuschalten, die sich dann allmählich zu einer Dachorganisation entwickeln müsste.“
Für besondere Unruhe sorgte die Ankündigung, dass es in der NS-Kulturgemeinde in Beckum eine eigene Unterabteilung „Heimat“ geben sollte. Hinzu kam, dass sich Adolf Schürmann, Beckums „erster Parteigenosse“ sich offensichtlich durch den Heimatverein persönlich angegriffen fühlte, hatte diese doch sein Festungsmodell der Stadt Beckum aus dem Jahr 1924 für die Ausstellung zur Geschichte der Feuerwehr 1935 benutzt, ohne sein Einverständnis und ohne ihn als Urheber zu nennen.
In Beckum eskalierten daher diese Spannungen 1935, als Heinrich Tenkhoff sein Amt als Erster Vorsitzender niederlegte. Neuer Vorsitzender wurde auf Veranlassung der NS-Kulturgemeinde Beckum und der NSDAP Ortsgruppe unter Ortsgruppenleiter Scheifhacken der als „Sippenforscher“ titulierte Historiker, Archäologe und Heimatforscher Anton Schulte. Schulte war auch vom scheidenden Vorsitzenden Tenkhoff als sein Nachfolger dem Westfälischen Heimatbund (WHB) vorgeschlagen worden. Im Gerangel um Kompetenzen und Zuständigkeiten machte der WHB klar, dass weder die NS-Kulturgemeinde noch die NSDAP das Recht habe, einen neuen Vereinsvorsitzenden einzusetzen. In einem Schreiben an den Heimatverein vom 15. Juni 1935 wurde daher Anton Schulte erneut und verbindlich zum Heimatvereinsvorsitzenden ernannt. Diesmal korrekt vom Leiter des WHB. Dermaßen gestärkt lehnte Schulte einen Beitritt des Heimatvereins in die NS-Kulturgemeinde kategorisch ab, wofür er in der nationalsozialistischen Zeitung, der „Nationalzeitung“, mit hämischen Kommentaren bedacht wurde. Erst im Oktober 1935 konnte auf Druck durch den WHB und der Kreisleitung der NS-Kulturgemeinde in Beckum ein Ausgleich zwischen dem Heimatverein und der Ortsgruppe der NS-Kulturgemeinde geschaffen werden. Der Heimatverein blieb selbstständig, sollte aber sein Programm eng mit der NS-Kulturgemeinde absprechen. Auf einer Parteiveranstaltung der NS-Kulturgemeinde im Dezember 1935 drohte Adolf Schürmann dem Heimatverein, den er als „Kaffeetrinker-Verein“ verhöhnte, und forderte den Verein auf, nicht nur „Busfahrpläne auszuknobeln“ sondern sich aktiv für die Heimatstadt Beckum einzusetzen. In seiner darauffolgenden Generalversammlung im Dezember 1935 erklärte daher der Heimatverein „in einer grundsätzlichen Erklärung […] auf der durch den Nationalsozialismus vorgeschriebenen Linie“ seine Tätigkeit auszuführen. Neben dieser Erklärung des Vereins half hier auch der Beitritt von Vorstandsmitgliedern zur NSDAP selbst den Fortbestand des Heimatvereins zu sichern.
Die Veranstaltungen des „Heimat- und Verkehrsverein Beckums“ wurden daraufhin eng mit den örtlichen Stellen der NSDAP und den verschiedenen NS-Organisationen, wie der NS-Kulturgemeinde, abgestimmt und widmeten sich mehr der nationalsozialistischen Propaganda und Ideologie. Hierzu einige Beispiele:
- Vortrag von Dr. Bernhard Arnsberg am 11. Dezember 1935 über das Thema „Unsere Heimat“.
- Vortrag von Dr. Humborg am 9. Februar 1936 über „Westfalen in aller Welt“. Anton Schulte referierte „über die praktische Arbeit des Heimatvereins Beckum für die Auslandsdeutschen aus unserem Heimatkreise“.
- Der Heimatverein präsentierte im April 1939 seine heimatkundliche Sammlung während der „Gaukultutwoche“ in Beckum.
- Heimatabend am 20. Januar 1940 mit Maria Kahle, die von ihrer Reise in das besetzte Polen berichtete. Der Heimatabend mit Maria Kahle war so erfolgreich, dass der Heimatverein Beckum sie 1942 erneut einlud.
- „Während des Zweiten Weltkriegs entstand das Organ „Beckumer Heimatbrief für die Kameraden der Front aus Stadt und Kirchspiel Beckum“. Der erste Heimatbrief erschien vermutlich April 1940, der im Heimatarchiv erste vorhandene ist die Nummer 3 von Juni 1940. Der Heimatbrief war ein gemeinsames Produkt der NSDAP-Ortsgruppe Beckum, der Stadtverwaltung und verschiedener Körperschaften und Vereine. Besonders aktiv und leitend war der Heimat- und Verkehrsverein, der die ganze redaktionelle Arbeit übernahm. [...] Der „Beckumer Heimatbrief“ erschien monatlich bis Weihnachten 1941. In dieser Zeit gingen über 2.000 Briefe von Soldaten aus dem Kreis Beckum als Grußbotschaft an den Heimatboten. Dann wurde angeordnet, dass aus Gründen der Papierersparnis nur noch ein Heimatbote des Kreises Beckum erscheinen sollte. Er trug den Titel „Der Heimat-Bote. Mitteilungen aus dem Kreise Beckum“ und wurde offiziell von der Kreisleitung der NSDAP des Kreises Beckum in Ahlen herausgegeben. Da es aber Schwierigkeiten sowohl in technischer Hinsicht als auch hinsichtlich der Redaktion gab, der für den Kreisheimatboten zuständige Kreispressewart der NSDAP war eingezogen worden, wurden die Herausgeber des ersten Beckumer Heimatboten ab der dritten Ausgabe mit der Schriftleitung betraut. Als besondere Beilage erschien im Juli 1942 „Aus Beckum Stadt und Land. Rund um den Höxberg“. [...] Der „Heimat-Bote“ und „Aus Beckum Stadt und Land“ waren für die Soldaten aus Beckum eine wichtige Verbindung in die Heimat.“
Neben diesen Formen der Mitarbeit am Nationalsozialismus durch den Heimat- und Verkehrsverein muss aber auch folgende Episode erzählt werden: „Mitten im Zweiten Weltkrieg erwarb der Heimat- und Verkehrsverein durch die Vermittlung von Heinrich Tenkhoff von Herrn Stollmeier zwei Löwenfiguren. Herr Füchteler hatte beide Figuren repariert, neu gebeizt und poliert. Dies geht aus einer Rechnung hervor, die sich heute noch im Heimatarchiv im Dormitorium Beckum befindet. Bei den Löwen handelte es sich um die beiden Toralöwen aus Eichenholz, die die Einfassung des Toraschreins bildeten und die nach der Verwüstung der Synagoge während der Reichspogromnacht, in den Besitz des Herrn Stollmeier gekommen waren. Mitten im Zweiten Weltkrieg und unter den Bedingungen der NS-Diktatur hielt es der Heimatverein dennoch für notwendig, für die Heimatkunde dieses Zeichen jüdischen Lebens in Beckum zu erhalten.“
Quelle:
Löppenberg, Ingo: Die Geschichte des Heimat- und Geschichtsvereins Beckum von 1920 bis 1945, in: Heimat- und Geschichtsverein für Beckum und die Beckumer Berge e.V./Stefan Wittenbrink (Hrsg.): 1920–2020. 100 Jahre Heimat- und Geschichtsverein Beckum, Beckum 2020, S. 15-62.